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Inter* in der ärztlichen Praxis

Viele inter*Menschen haben in der Vergangenheit schlechte Erfahrungen im ärztlichen Setting gemacht, beispielsweise durch geschlechtsverändernde Maßnahmen, die ohne ihre Einwilligung stattgefunden haben, durch die Nebenwirkungen anschließender Hormonersatztherapien oder auch durch einen respektlosen Umgang bei Untersuchungen. Für Sie als Ärztin oder Arzt kann es helfen, sich dies bewusst zu machen und einfühlsam darauf einzugehen, um ein gutes Behandlungsverhältnis zu etablieren. Doch wie können Sie als Ärztinnen und Ärzte sensibel darauf eingehen? LIEBESLEBEN hat Ihnen dazu Informationen und Hintergründe zusammengestellt, wie die Beratung und Behandlung von inter*Personen gelingt.

Was bedeutet inter*?

Inter*Menschen weisen Geschlechtsmerkmale des weiblichen und des männlichen Geschlechts auf. Das zeigt sich beispielsweise am Chromosomensatz einer Person, anhand der Keimdrüsen, in der Hormonproduktion oder anhand des körperlichen Erscheinungsbildes. Daher gibt es viele unterschiedliche Ausprägungen von Intergeschlechtlichkeit. Die Bandbreite dieser sogenannten Syndrome reicht vom häufig beobachteten CAIS (Complete Androgen Insensitivity Syndrome) und dem selteneren PAIS (Partial Androgen Insensitivity Syndrome) über die reine (Swyer Syndrom) und gemischte Gonadendysgenesie, den 5-Alpha-Reduktase-Mangel und 17-Beta-HSD-Mangel bis hin zum äußerst raren »LH-Rezeptordefekt« (Leydigzell-Hypoplasie), dem »Hermaphroditismus verus« und dem CAH (früher: AGS). Nicht alle Ausprägungen treten bereits mit der Geburt auf – viele zeigen sich auch erst im späteren Leben.

Unsicherheiten abbauen

In Deutschland wird die Zahl von inter*Personen, wie es beispielsweise das Bundesverfassungsgericht darstellt, auf etwa 160.000 geschätzt – umgerechnet kommt auf 500 Patient*innen etwa eine intergeschlechtliche Person. Als Ärztin oder Arzt werden Sie in Ihrem Berufsleben also sicherlich inter*Menschen behandeln. Das kann jedoch auch Unsicherheiten mit sich bringen. Aber mit einem respektvollen Austausch auf Augenhöhe ist oft schon viel gewonnen.

Respekt und Einfühlungsvermögen sind entscheidende Faktoren für die ärztliche Beratung von intergeschlechtlichen Menschen. Führen Sie sich vor Augen, dass inter*Personen oft schon schlechte Erfahurngen im ärztlichen Setting gemacht haben. Hier ist Sensibilität gefragt!

Außerdem braucht es eine individuelle Beratung und Behandlung. Denn Intergeschlechtlichkeit kann sich in vielen Ausprägungen zeigen. In der Regel sind inter*Menschen dabei selbst die besten Expert*innen für ihren eigenen Körper. Dieses Wissen können Sie gut bei der Behandlung einbeziehen und nutzen.

Tipps für einen sensiblen Umgang in der ärztlichen Praxis:

  • Erklären Sie den Zweck Ihrer Fragen und der empfohlenen Untersuchungen.
  • Nehmen Sie Anzeichen von Unwohlsein der Patient*innen wahr und gehen Sie aktiv darauf ein.
  • Gehen Sie individuell auf die besonderen Bedürfnisse Ihrer Patient*innen ein und lösen Sie sich im Denken von den klassischen Geschlechterzuschreibungen.
  • Konzentrieren Sie sich nicht auf die Intergeschlechtlichkeit der Patient*innen, sondern kümmern Sie sich um ihre konkreten Beschwerden.
  • Fragen Sie Ihre Patient*innen nicht zu ihrer Intergeschlechtlichkeit aus, um Ihre fachliche Neugier zu stillen.
  • Fragen Sie nach der Einwilligung Ihrer Patient*innen bei jeder Untersuchung und Maßnahme. Bevorzugen Sie dabei – wie üblich – möglichst weniger invasive Methoden.
  • Achten Sie auf eine respektvolle Sprache. Nehmen Sie die Selbstbezeichnung und Begriffe wahr, mit denen Ihr Gegenüber von den eigenen Erfahrungen spricht oder fragen Sie nach, welche Ansprache die Person sich wünscht. Machen Sie eine Notiz in der Patientenakte, damit auch Ihre Mitarbeitenden über die Wünsche Bescheid wissen.
  • Geben Sie umfassende Informationen zu Behandlungsmöglichkeiten, um Ihren Patient*innen individuelle Entscheidungen zu ermöglichen.

Intergeschlechtliche Kinder

Die Beratung und Behandlung intergeschlechtlicher Kinder ist oft schwieriger als die von erwachsenen inter*Menschen. Einerseits haben Kinder oft noch nicht ausreichend Wissen, um selbstbestimmte Entscheidungen zu treffen. Andererseits stehen sie in der Regel unter dem Einfluss ihrer Eltern. Bei inter*Kindern ist daher auch der offene und vertrauensvolle Austausch mit den Eltern wichtig, damit diese ihr Kind zu einer selbstbestimmten Entscheidung befähigen.

Aber: Entscheidend ist das Wohlergehen des Kindes, nicht der Wunsch der Eltern. Sprechen Sie keine vorschnellen Empfehlungen aus, sondern beobachten Sie die Entwicklung des Kindes. Die letzte Entscheidung liegt immer beim Kind – diese gilt es sowohl für die Eltern als auch für Sie als Ärztin oder Arzt zu respektieren. Wissen um die Herausforderungen für Kinder und ihre Eltern sowie Geduld und Offenheit sind hier gefragt.

Tipps für einen sensiblen Umgang mit inter*Kindern in der ärztlichen Praxis:

  • Pflegen sie eine offene Kommunikation mit den Eltern zu den gesundheitlichen Risiken geschlechtsverändernder Maßnahmen.
  • Lassen Sie sich nicht zu vorschnellen Bewertungen hinreißen.
  • Gehen Sie sehr sensibel mit Eltern und Kind um, nehmen Sie Ängste wahr und gehen Sie konstruktiv und ruhig mit den Emotionen von Eltern und Kind um.
  • Beobachten Sie die Entwicklungen und Verhaltensweisen des Kindes über einen längeren Zeitraum.
  • Klären Sie die Eltern über die rechtlichen Rahmenbedingungen für geschlechtsverändernde Behandlungen auf.
  • Geben Sie Unterlagen mit, damit sich Eltern und Kinder eine zweite Meinung einholen können.

Geschlechtsveränderungen bei Kindern

Früher wurde Kindern, die bei der Geburt nicht eindeutig als weiblich oder männlich bestimmt werden konnten, ein festes Geschlecht zugewiesen. Im Nachgang erfolgten dann geschlechtsangleichende Maßnahmen, damit sie körperlich dem festgelegten Geschlecht nahekommen – auch, wenn es medizinisch gar nicht erforderlich gewesen wäre.

Das Problem: Diese Maßnahmen führen meist dazu, dass die Person ihr ganzes Leben lang hormonelle Medikamente einnehmen oder weitere medizinische Eingriffe über sich ergehen lassen muss. Das hat sowohl körperliche als auch psychische Folgen bis ins Erwachsenenalter. Zudem ist kurz nach der Geburt noch nicht absehbar, in welche Richtung sich das Kind überhaupt entwickelt – so kann es sich dem entfernten Geschlecht viel zugehöriger fühlen als dem durch den Eingriff erzwungenen Geschlecht.

Angaben zum Personenstand

Seit 2019 kann bei der Geburt eines intergeschlechtlichen Kindes neben dem weiblichen und männlichen Geschlecht auch die Angabe »divers« in das Geburtenregister eingetragen werden. Auch der Verzicht auf eine Geschlechtsangabe ist seitdem möglich. Die Sorgeberechtigten entscheiden, mit welchem Geschlecht das Kind eingetragen wird. Daneben besteht für inter*Menschen die Möglichkeit, die bisher registrierte Geschlechtsangabe und auch die Vornamen durch Erklärung gegenüber dem Standesamt ändern zu lassen.

Das sagt das Gesetz

Vorschnelle Entscheidungen schaden inter*Menschen mehr als sie nützen. Deshalb hat der Gesetzgeber im Jahr 2021 ein Gesetz (§1631e BGB) verabschiedet, das nicht medizinisch notwendige Eingriffe zur Geschlechtsveränderung bei intergeschlechtlichen Kindern deutlich erschwert. Solche Eingriffe könnten unter bestimmten Umständen als Konversionsbehandlung gelten und auch nach dem entsprechenden Gesetz (KonvBehSchG) verboten sein.

Mit dem Gesetz braucht es für geschlechtsverändernde Maßnahmen die Einwilligung des Kindes – sofern ein Eingriff nicht medizinisch notwendig ist und die Ärztin oder der Arzt feststellt, dass das Kind weder dem weiblichen noch männlichen Geschlecht zugeordnet werden kann. Behandlungen, die einzig darauf abzielen, das Körperbild des einwilligungsunfähigen Kinds dem männlichen oder weiblichen Geschlecht zuzuordnen, sind verboten.

Interdisziplinäre Kommission

Eltern können dem Familiengericht eine Stellungnahme einer interdisziplinären Kommission vorlegen, um geschlechtsverändernde Maßnahmen auch ohne Einwilligung des Kindes in einem vereinfachten Verfahren möglich zu machen. Zu dieser Kommission gehören mindestens:

  • Die behandelnde Ärztin oder der behandelnde Arzt
  • Eine nicht behandelnde Ärztin oder ein nicht behandelnder Arzt
  • Eine Person mit psychologischer, psychotherapeutischer oder psychiatrischer Ausbildung
  • Eine Person, die in ethischen Fragen aus- oder weitergebildet wurde

Alle Kommissionmitglieder müssen Erfahrungen im Umgang mit inter*Kindern mitbringen. Auf Wunsch der Eltern kann die Kommission zudem eine inter* Beratungsperson einbeziehen – eine solche Einbindung von einer persönlichen Perspektive ist besonders empfehlenswert.

Ob ein Kind bei der Geburt männlich, weiblich oder divers ist, entscheiden Ärztinnen und Ärzte anhand medizinisch geleiteter Fragen. Haben Sie im Zweifel den Mut, ein inter*Kind auch wirklich dem »diversen« Geschlecht zuzuweisen oder auf die Geschlechtsangabe zu verzichten. Bei diesem Vorgehen ist das Kind in jedem Fall rechtlich vor geschlechtsverändernden Maßnahmen geschützt.

Lassen Sie sich nicht zu vorschnellen Entscheidungen hinreißen oder durch Angehörige unter Druck setzen – sondern beobachten Sie im Zweifelsfall die Entwicklung des Kindes und berufen Sie sich auf die gesetzlichen Vorgaben. Die Eltern dürfen nur über geschlechtsverändernde Operationen entscheiden, wenn der Eingriff zu dringlich ist, um auf die selbstbestimmte Entscheidung des Kindes zu warten. Die Eltern brauchen in der Regel zur Entscheidung auch eine Genehmigung des Familiengerichts.

Die Rolle der Eltern

Die Geburt eines inter*Kindes ist nicht nur für das Kind selbst, sondern auch für die Eltern eine schwierige Situation. Die Frage nach dem Geschlecht ist eine der ersten, die jungen Eltern nach der Geburt gestellt wird. Gleichzeitig haben sich nur die wenigsten Eltern während der Schwangerschaft mit der Geburt eines intergeschlechtlichen Kindes auseinandergesetzt – auch, weil das in der Schwangerschaftsberatung oftmals keine große Rolle spielt.

Schaffen Sie bei der Geburt des Kindes eine angenehme Atmosphäre und zeigen Sie den Eltern, dass die Intergeschlechtlichkeit ihres Nachwuchses als solches kein Problem darstellt. Nehmen Sie sich Zeit, die Eltern über Intergeschlechtlichkeit aufzuklären. Es ist auch Ihre Aufgabe, die Eltern abzuholen und Ihnen Ängste zu nehmen. Machen Sie die Eltern zudem auf qualifizierte Beratungsprogramme oder Selbsthilfegruppen aufmerksam, die ihnen wichtige Tipps für diese erst einmal ungewohnte Situation bieten. Und unterstützen Sie Eltern und Kind dabei, eine möglichst hohe Lebensqualität zu erreichen und den Körper des Kindes zu akzeptieren.

Überprüfung geschlechtsverändernder Maßnahmen

Inter*Menschen können prüfen, ob die geschlechtsverändernden Maßnahmen in ihrer Kindheit rechtmäßig waren. Als behandelnde Ärztin oder als behandelnder Arzt müssen Sie die entsprechenden Patientenakten bis zum 48. Lebensjahr aufbewahren. Vor Änderung des Gesetzes waren es nur zehn Jahre.

Sie möchten sich ausführlicher zum Thema informieren?

Die AMWF-Sk2-Leitlinie bietet eine gute Wissensgrundlage. Außerdem steht Ihnen, Ihren Patient*innen sowie deren Angehörigen die kostenlose und anonyme Telefon- und Online-Beratung der BZgA-Initiative LIEBESLEBEN zur Verfügung. Das Beratungsteam unterstützt mit Informationen und persönlichen Gesprächen zum Thema Konversionsbehandlung und weiteren Anliegen zu sexueller und geschlechtlicher Vielfalt.

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